Wie und wann entstand die Idee für das Projekt? Gab die Fördermöglichkeit durch die Green Roof Lab-Förderung von GründachPLUS den finalen „Anstoß“ zur Konzepterstellung oder war die Projektidee bereits vorher da?
Das Haus in Berlin-Kreuzberg wurde von einer Baugruppe, bestehend aus Genossenschaft, Eigentümer:innen und einem sozialen Träger, gebaut und 2018 bezogen. Die Hausgemeinschaft besteht aus circa 70 Parteien, rund 170 Bewohner:innen leben im Haus. Neben Wohnungen gibt es Ateliers und einige Gewerbeflächen. Ein Großteil des Daches wurde ursprünglich als große begehbare Terrasse mit Plattenbelag geplant. Aufgrund begrenzter finanzieller Mittel während der Bauphase konnte jedoch nur ein Viertel der Dachfläche ausgebaut werden. Diese Dachterrasse ist für alle Bewohner:innen des Hauses zugänglich. Die restliche Dachfläche wurde mit einer Kiesschicht bedeckt, jedoch nicht mit einem Geländer gesichert und war deshalb nicht zugänglich.
Nach dem Bezug des Hauses 2018 gab es verschiedene Ideen, wie diese Fläche genutzt werden könnte, etwa als Ort für eine Sauna, ein Schwimmbad, ein Urban Gardening-Projekt oder eine Photovoltaik-Anlage. Keine dieser Ideen wurde jedoch weiterverfolgt. Ein Grund dafür waren sicherlich die fehlenden finanziellen Mittel bzw. die Schwierigkeiten bei der technischen Realisierbarkeit. Als die Bewohner:innen vom Berliner Förderprogramm für Dach- und Fassadenbegrünung erfuhren, entstand in der Hausgemeinschaft in einem partizipativen Prozess die Idee, auf der Dachfläche eine „Wilde Dachnatur“ zu gestalten. Den Ausschlag für die Realisierung des Gründachs gab das Förderprogramm – ohne Förderung wäre das Kiesdach sicherlich noch längere Zeit bestehen geblieben.
Warum haben Sie sich für eine Dachbegrünung entschieden?
Unser Haus liegt in einem Quartier mit vielen in der Nachkriegszeit entstandenen Hochhausbauten. Der Stadtteil weist eine hohe städtebauliche Verdichtung auf. Aufgrund der vielen versiegelten Flächen entsteht vor allem in den Sommermonaten ein ungewöhnlich heißes Mikroklima. Durch die Dach- und Fassadenbegrünung wollen wir zu mehr Klimaschutz und Biodiversität im städtischen Raum beitragen. Außerdem wollen wir die Entwicklung von Flora und Fauna auf dem Extremstandort Dach mit Sonne, Trockenheit und Wind dokumentieren und als Modellprojekt Anstoß für weitere Dachbegrünungen geben. Wir freuen uns sehr, dass wir mit dem NABU Berlin (https://berlin.nabu.de/index.html) einen kompetenten Kooperationspartner an unserer Seite haben.
War es schwierig, alle Eigentümer:innen bzw. Hausbewohner:innen vom Projekt zu überzeugen?
Schwierig nicht, allerdings war sehr viel Kommunikation nötig: Vor der Entwicklung des Gründach-Konzepts wurden die Bewohner:innen zu ihren Wünschen und Vorstellungen bezüglich der Dachnutzung befragt. Anschließend haben wir auf mehreren Haustreffen und WEG-Versammlungen die verschiedenen Optionen diskutiert. Einige Bewohner:innen wollten statt eines Gründachs lieber eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach errichten. Trotz dieser unterschiedlichen Meinungen zeigte sich im Haus eine große Offenheit für ein „wildes“ Gründach. Als mit der Konkretisierung des Projekts klar wurde, dass die Fördersumme nicht für die Realisierung des Gründachs ausreichen und ein finanzieller Beitrag durch die Hausgemeinschaft nötig sein würde, gab es weitere Diskussionen. Im Ergebnis sprach sich die Mehrheit der Hausgemeinschaft für die Errichtung des Gründachs aus und war bereit, sich finanziell zu beteiligen – auch die Genossenschaft und der soziale Träger.
Ist das Dach zu betreten?
Das Gründach ist nicht gesichert und darf deshalb nur für Pflege- und Wartungsarbeiten betreten werden. Es gibt aber eine Aussichtsplattform, die durch ein Geländer gesichert ist. Sie steht allen Bewohner:innen zur Verfügung und kann auch für Bildungsveranstaltungen oder Führungen genutzt werden.
Wann startete das Projekt und wie lange dauerte es von der ersten Idee bis zur Umsetzung?
Nach Bekanntwerden der Fördermöglichkeit im Haus begann im Juni 2020 eine erste Planungsphase mit interessierten Bewohner:innen. Parallel zur Beantragung der Green Roof Lab-Förderung mussten im Haus Entscheidungen getroffen und formale WEG-Beschlüsse, beispielsweise zur Kostenverteilung, gefällt werden. Erst danach konnte die Ausschreibung für die Planung des Gründachs starten. Zum Glück haben wir ein engagiertes Landschaftsarchitektur-Büro gefunden, das wir im November 2022 mit der konkreten Planung des Dachs beauftragten. Im Sommer 2023 erfolgte dann die Suche nach einer geeigneten Garten- und Landschaftsbaufirma für die Umsetzung. Die Realisierung des Gründachs und der Fassadenbegrünung zog sich bis April 2024 hin.
Gab es Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Die Verwirklichung des Gründachs, von der ersten Idee 2020 bis zur endgültigen Fertigstellung im Frühjahr 2024, erstreckte sich über fast vier Jahre – ein langer Prozess, der nur durch viel Engagement seitens der Hausgemeinschaft möglich war. Neben der nötigen Ausdauer brachte die „Gründach-Gruppe“ vielfältiges Fachwissen aus den Bereichen Architektur, Kommunikation, Landschaftsplanung, Ökologie, Recht und Verwaltung mit. Ohne das wäre dieser komplexe Prozess wahrscheinlich nicht zu realisieren gewesen. Eine der größten Herausforderungen bestand darin, eine Garten- und Landschaftsbau-Firma für die Umsetzung der Planung zu finden. Trotz zahlreicher Anfragen gaben letztlich nur drei Unternehmen Angebote ab. Leider überstiegen diese Angebote deutlich die verfügbaren Mittel durch Förderung und Eigenbeteiligung. Daher mussten wir mehrmals umplanen, verhandeln und den Umfang des Projekts anpassen. Zum Beispiel erwies sich die geplante Installation von Vogelkästen für Mauersegler an einem Wärmeverbundsystem als viel zu kostspielig. Daher entschieden wir uns letztlich für das Anbringen von vorgefertigten Nisthilfen an anderen Stellen im Haus. Auch das geplante Geländer für die gesamte Dachfläche stellte sich als zu teuer heraus. Stattdessen konnte schließlich nur eine knapp zehn Quadratmeter große Aussichtsplattform realisiert werden, von der aus man die Entwicklung des Gründachs beobachten kann. Immer wieder versuchten wir die Kosten zu senken, indem wir Arbeiten selbst übernahmen, beispielsweise Baumstämme aus dem Waldstück eines befreundeten Waldbesitzers besorgten oder alte Dachplatten entsorgten.
Als endlich der Vertrag mit der ausführenden Garten- und Landschaftsbaufirma unterzeichnet war, verhinderte einsetzender Frost den zügigen Abschluss der Arbeiten. Auch danach kam es immer wieder zur Verschiebung von Fertigstellungsterminen durch die Baufirma.
Wie bewerten Sie den Beitrag, den die GründachPLUS-Förderung leistet?
Die Gründach-Förderung war entscheidend für die Realisierung unseres Projekts. Ohne sie hätten wir das Gründach und die Fassadenbegrünung nicht umsetzen können. Auch wenn unsere neu begrünte Fläche nur einen bescheidenen Beitrag zu mehr Klima- und Biodiversitätsschutz in Berlin leisten kann, regt unsere “Wilde Dachnatur” hoffentlich andere Akteure zur Realisierung weiterer Gründächern an.
Was ist Ihre Vision für Ihr Gründach im Sommer 2025?
2025 sind die Pflanzen hoffentlich gut angewachsen und bilden eine geschlossene Pflanzendecke. Vögel und Insekten haben das Dach für sich entdeckt, die Vogel- und Fledermauskästen sind bewohnt. Eine Wildtierkamera dokumentiert die tierischen Besucher auf dem Dach. Der wilde Wein der Fassadenbegrünung im Westen des Hauses hat mittlerweile die 2. Etage erreicht. Die Bewohner:innen treffen sich regelmäßig auf der Aussichtsplattform, tauschen sich unter anderem über gärtnerische und ökologische Themen aus und entwickeln ihre Balkonbegrünungen naturnah weiter. Die Hausgemeinschaft veranstaltet regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem NABU Berlin inklusive Veranstaltungen zu ökologischen Themen und hat sich mit Klimaschutz- und zur Biodiversitätsprojekten im Kiez eng vernetzt. Die Website des Gründachs (sobald diese steht, informieren wir darüber, Anm. d. Red.) erfreut sich großer Beliebtheit und wird von der Hausgemeinschaft regelmäßig aktualisiert. Der Umbau des asphaltierten Parkplatzes neben unserem Haus zu einem gemeinnützigen Urban Gardening-Projekt hat begonnen. In Berlin wurden zahlreiche weitere Dächer begrünt.
Und für 2028: Die Politik hat die Förderung von Gründächern ausgebaut und vereinfacht; Bauherr:innen sind offen für das Thema Artenschutz am Gebäude und Architekt:innen berücksichtigen Pflanzen und Tiere von Anfang an in ihren Planungen, beispielsweise indem sie Nistmöglichkeiten in Fassade einbauen.
Hinweise:
Im ersten Teil unseres Berichts zum ersten Green Roof Lab, das aus der GründachPLUS-Förderung entstanden ist, haben wir auf der Eröffnungsfeier im April einige Stimmen zum Projekt eingefangen. Dieser Bericht ist hier (KLICK) zu finden.
Alle Infos zu GründachPLUS und zur Green-Roof-Lab-Förderung sind hier zu finden: GründachPLUS (KLICK)
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